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Das System der Clanstruktur

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Die aus dem Indischen Ozean herausragende Nord-Ost-Spitze von Afrika, die "Horn von Afrika" genannt wird, ist die Heimat der Somali, obwohl die Somali nicht als die originären Bewohner des Horns von Afrika anzusehen sind. Bis in die heutige Zeit hinein gilt der Ursprung des somalischen Volkes als nur teilweise erforscht und lässt sich nur bruchstückhaft historisch datieren. Das Selbstverständnis der Somali beruht auf eine beziehungsreiche patrilineare Abstammung, die von der Qureysch-Linie des Propheten Mohamed abgeleitet wird. Dieser Abstammungsmythos spiegelt die Einwirkungen der arabisch-islamischen Kultur auf die Einwohner der nordöstlichen Spitze Afrikas wider.

Durch die geographische Nähe Somalias zur Arabischen Halbinsel wanderten viele Araber in Somalia ein. Die Einwanderung fand aus religiösen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gründen statt. Während zunächst wirtschaftliche Beweggründe überwogen, trat mit der Entstehung des Islams die religiöse Komponente in den Vordergrund, die durch Streitigkeiten unter den arabischen Herrschern politisch motivierte Einwanderungswellen auslöste. Die arabische Einwanderung beschränkte sich zunächst auf die nördlichen Küstenregionen Somalias, eine Ausdehnung der Wanderungsbewegungen in den Süden erfolgte nach einer Phase der Etablierung in den nördlichen Landesteilen und der Vermischung mit den bereits ansässigen Bewohnern.

Im 11. Jahrhundert setzte eine große Wanderung der teilweise assimilierten afrikanischen Urbevölkerung von Nordosten nach Süden ein, die durch die Suche der Nomaden nach neuen Weideplätzen ausgelöst wurde. Die Migration verlief nicht kontinuierlich, sondern vollzog sich in einer Vielzahl von Bewegungsschüben. Diese damit einhergehende Ausdehnung der Siedlungsgebiete setzte sich bis in das 20. Jahrhundert fort. In ihrem Verlauf kam es zu einer teilweisen Verschmelzung mit der sesshaften Urbevölkerung im Süden des Landes, den Galla.

Die gesellschaftliche Funktion der Clanzugehörigkeit

Das konstitutive Prinzip der somalischen Gesellschaft ist die Clanzugehörigkeit. Das einende Moment innerhalb der somalischen Clans ist die gemeinsame Abstammung der einzelnen Gruppierungen von einem gemeinsamen Ahnen. Innerhalb der Genealogie der einzelnen Clans ist der jeweils Erstgeborene Ahn und Oberhaupt des Clans.

Im Vergleich mit der Angehörigkeit zu einem bestimmten Clan hat die Verbindung zu der dem Clan übergeordneten Clanfamilie, in der mehrere verwandtschaftlich miteinander verbundene Clans zusammengefasst sind, einen weit weniger verbindlichen Charakter:

Die Funktion der Einbindung des Einzelnen in ein weitläufiges Verwandtschaftsverhältnis besteht darin, "das Individuum in seinem Zusammenwirken mit allen übrigen Personen nach gesellschaftlichen und politischen Gesichtspunkten einzuordnen". Das soziale Leben hängt gänzlich vom Clan ab: der Clan setzt den Handlungen der einzelnen Personen Grenzen und gewährt ihnen insofern Schutz, als der Clan in jedem Fall für die Handlungen der einzelnen Mitglieder gegenüber Mitgliedern anderer Clans verantwortlich ist. Dies bedeutet, dass das Individuum innerhalb der Grenzen des Clans handelt und dass die Beziehungen zur Außenwelt vom Clan geregelt werden.

Die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Clans regeln traditionelle Verfahren, die sog. "heer", die auf Verhandlungen oder Verträgen basieren. Die hieraus resultierenden Vereinbarungen betreffen meist die kollektive Verteidigung oder politische Übereinkünfte und beziehen sich somit auf Gesetze und Verpflichtungen, die für alle Mitglieder der beteiligten Clans verbindlich sind.

Autor: Dipl.-Pol. Abdirizak Sheikh.
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Weitere Infos zum System der Clanstruktur können Sie in dem Buch "Kein Frieden für Somalia?" nachlesen.


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