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Interview mit dem RBB Inforadio vom 09.08.2011

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„Die politische Situation in Somalia“

RBB Inforadio: „Schon seit Wochen gibt es Nachrichten, wonach der Osten Afrikas unter der schlimmsten Dürre seit mehr als 60 Jahren leidet – Somalia gehört dazu. Ein Land, das eigentlich immer nur in Krisenzeiten – Hungersnöten – bei uns in den Schlagzeilen auftaucht. Ein Land, das seit zwanzig Jahren vom Bürgerkrieg verwüstet wird. Aus der Ferne betrachtet fragen sich sicher viele hierzulande – was ist dort eigentlich los? Mathias Weber, Diplom-Politologe und Autor des Buches "Kein Frieden für Somalia?" – die Frage an Sie – hat es, zumindest nach unserer Lesart, in Somalia je so etwas wie Normalität gegeben?“

Mathias Weber: „Ja, es gab den Diktator Siad Barre, der staatliche Strukturen aufgebaut hatte und der von der Sowjetunion unterstützt wurde. Während seiner Regentschaft gab es schon einen Staat und ein System, wie wir es kennen. In diesem System wurde die Clan-Problematik zurückgedrängt und ausgeblendet und Siad Barre hat das Land mit eiserner Hand regiert und alle Konflikte unterdrückt.“

RBB Inforadio: „Heißt das, dass in dem Moment, wo diese 'eiserne Hand' nicht mehr da war, alles wieder auseinander brach?“

Mathias Weber: „Ganz genau. Das war das Problem. Nachdem Siad Barre vertrieben worden war, bekämpften die Clans sich gegenseitig und versuchten die Macht zu übernehmen. Und dadurch ist der 20jährige Bürgerkrieg entstanden.“

RBB Inforadio: „Vor dem Hintergrund dieser eben beschriebenen Situation Somalias: Hat überhaupt irgendjemand im Lande ein ernsthaftes Interesse an der Befriedung des ganzen Landes oder stellt sich diese Frage gar nicht?“

Mathias Weber: „Das Problem ist, dass Somalia eine Clan-Gesellschaft ist. Das bedeutet, dass die Somalis loyal gegenüber ihrem Clan sind und nicht gegenüber den staatlichen Strukturen. Das ist die Grundlage des ganzen Problems. Das muss man sehen, wenn man eine Lösung für Somalia finden möchte. Es gab auch dutzende Friedenskonferenzen, teilweise auch vom Ausland unterstützt, aber die Clans konnten sich nie langfristig einigen. Um eine Friedenslösung zu finden, muss man auf die Clans eingehen. Das bedeutet, dass alle Clans vor Ort Friedenslösungen finden müssen und nicht von einem Zentralstaat ausgegangen werden darf.“

RBB Inforadio: „Es heißt ja auch, alle Versuche, das Land mit Kräften von außen zu befrieden, sind bislang gescheitert und folge ich Ihnen, dann kann das so auch gar nicht gelingen.“

Mathias Weber: „Der UNO-Einsatz, den es von 1992 bis 1995 gab, hat genau das gezeigt. Die Helfer aus dem Ausland kamen eigentlich, um die Hungernden zu versorgen und die Hilfskonvois zu schützen und abzusichern. Deswegen wurden auch dann UNO-Soldaten eingesetzt, um die Bevölkerung zu versorgen. Aber, dann wurden die UNO-Soldaten zu einer Konfliktpartei, agierten teilweise planlos und wurden dann von den Clans gemeinsam bekämpft. In deren Augen kam ein äußerer Feind, der gemeinsam bekämpft wurde.“

RBB Inforadio: „Durch die Berichterstattung über die akute Hungersnot ist auch die radikal islamische Al Shabaab Miliz bekannt geworden. Welche Rolle spielt sie in Somalia?“

Mathias Weber: „Die Al Shabaab möchte in Ostafrika einen islamistischen Gottesstaat errichten, indem das islamische Recht, die Scharia, herrscht. Es geht ihnen darum, einen 'Steinzeit-Islam' in Somalia zu etablieren, wie es die Taliban in Afghanistan versucht hatten. Es gibt die afrikanische Union, die Friedenstruppen in Mogadischu stationiert hat, aber sie sind nur auf die Hauptstadt konzentriert und kontrollieren erst seit einigen Tagen die Stadtgebiete in Mogadischu. Ein großes Problem ist, dass die Al Shabaab es geschafft hat, zu einem großen Machtfaktor zu werden. Viele Kämpfer der Al Shabaab werden dazu gezwungen, mitzukämpfen. Aus dem Überlebenskampf heraus schließen sich Männer der Al Shabaab an, weil Al Shabaab die Kämpfer mit Lohn, Essen und Handys versorgt. Die jungen Leute sehen es teilweise als einzige Perspektive bei Al Shabaab mitzukämpfen.“


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