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Im Namen der Welt - Die UNO-Einsätze in Somalia und Rwanda

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von Mathias Weber und Andreas Wenzel

Als der damalige US-Präsident Bush vor dem Golfkrieg von einer neuen Weltordnung sprach, sollte die UNO im Namen der "Weltgemeinschaft" militärische Einsätze gegen "Verbrecherstaaten" tragen und legitimieren. In der Folge stiegen die allgemeinen Erwartungen an die UNO als eine neutrale Institution von Global Governance. Die Beispiele Somalia und Rwanda zeigen aber, daß die UNO und ihr Instrumentarium nicht zur Konfliktbeilegung in der Lage sind – vielleicht auch, weil sich vor Ort die einem "Weltgewissen" zugrundeliegende Aufteilung in Gut und Böse als unbrauchbar erweist.

Die UNO stellt sich als demokratisch legitimierte Institution der internationalen Staatengemeinschaft dar. Sie proklamiert in ihrer Charta, daß sie den "Weltfrieden" und die "internationale Sicherheit" wahren, Bedrohung des Friedens verhüten und beseitigen und in Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, mit "friedlichen Mitteln" und nach den "Grundsätzen der Gerechtigkeit" vermitteln möchte. Vor dem Hintergrund dieser hehren ethischen Grundsätze werden auch militärische als friedensstiftende Maßnahmen propagiert: Peacekeeping, Peacemaking, Peaceenforcement.

Als wichtigstes Instrument der UNO zur Friedenssicherung entstand das Peacekeeping. Der Zweck von Peacekeeping-Operationen ist es, im Falle drohender gewaltsamer Auseinandersetzungen durch Installierung von Pufferzonen deren Austragung vorzubeugen, oder einen bereits laufenden Konflikt durch "Einfrieren" schnell zu beenden. Der Weg zu einer Lösung soll dadurch frei werden. Bevor der Sicherheitsrat die Zustimmung zur Stationierung von Blauhelmen erteilt, müßten sich theoretisch die Streitparteien auf eine Waffenruhe geeinigt und beide Seiten der UNO-Operation zugestimmt haben.

Das Peacekeeping-Konzept wurde vornehmlich für Konflikte zwischenstaatlicher Art entwickelt. Die Zunahme ethnisch und religiös begründeter sowie sozialer Konflikte wie etwa die massiven Menschenrechtsverletzungen und Genozide in Ex-Jugoslawien, Rwanda und Somalia offenbaren jedoch einen neuen komplizierten Konflikttypus. Die Auseinandersetzungen verlaufen häufig quer durch gemischt besiedelte Gebiete, in denen sich verfeindete Bevölkerungsteile in wechselnden Allianzen bekriegen.

Infolge dieser Entwicklungen weitete der Sicherheitsrat der UNO das sicherheitspolitische Instrumentarium auf innerstaatliche Krisen aus. Das Eingreifen der UNO in die innere Angelegenheit eines Staates ist jedoch nur über Kapitel VII der UNO-Charta möglich: Art. 39 des Kapitels erklärt, daß der Sicherheitsrat feststellen muß, "ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt." Ebenfalls in Kapitel VII sind Sanktionsmaßnahmen als letzte Mittel nichtmilitärischer und militärischer Art festgelegt. Eine Bedrohung des Weltfriedens durch Menschenrechtsverletzungen wurde in den Konflikten im Irak, in Somalia, Ex-Jugoslawien und in Rwanda gesehen, was Maßnahmen des Sicherheitsrates zur Folge hatte.

Somalia: Vom Retter zur Konfliktpartei

Im Falle Somalias wurden in der Resolution 794 zum ersten Mal Menschenrechtsverletzungen und die Behinderung der Hilfstransporte in Verbindung mit dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung als Gefährdung des internationalen Friedens bezeichnet. Der Sicherheitsrat autorisierte die Entsendung von Friedenstruppen nach Somalia, um die Hilfslieferungen für die hungernde Bevölkerung zu schützen. Parallel zur Anwendung militärischer Gewalt wurde auch das Peacekeeping aktiviert. Damit wurde erstmals in der Geschichte der UNO ein Bezug zwischen "friedensbewahrenden" (Kapitel VI) und "friedensschaffenden" (Kapitel VII) Maßnahmen hergestellt.

Der Konflikt in Somalia hatte zur völligen Auflösung der staatlichen Strukturen und zum Zerfall jeglicher Ordnung geführt. Als Folge des Bürgerkriegs brach Anfang 1991 eine Hungersnot aus. Die Hilfsorganisationen waren auf sich alleine gestellt und den marodierenden Banden ausgeliefert. Der Sicherheitsrat der UNO reagierte nach langem Zögern mit der Verabschiedung von Resolutionen in Richtung eines aktiven Eingreifens. Von der Entscheidung bis zur Entsendung von UNO-Truppen verging jedoch erneut lange Zeit. Es offenbarte sich die Schwerfälligkeit der UNO-Bürokratie, die mit der Dynamik der Konfliktlage nicht mithalten konnte. Das Hilfsprogramm lief erst an, als die Not ihren Höhepunkt schon überschritten hatte und tausende Somalis gestorben waren. Als dann das breite – von UNO-Kräften geschützte – Hilfsprogramm in Gang gesetzt wurde, hatte die Entladung militärischer Güter Vorrang vor derjenigen humanitärer Hilfsgüter. Zudem gelang die Verteilung teilweise nur in Mogadischu oder in anderen Gebieten, in denen die UNO feste Stützpunkte besaß. Von der resultierenden einseitigen Verteilung der Lebensmittel profitierten die dort ansässigen Clans.

Zum Zeitpunkt der UNO-Intervention in Somalia waren dort Aidids Milizen dabei, Ali Mahdi in die Enge zu treiben. Aidid brachte eine Zustimmung zu einem Waffenstillstand also mehr Nachteile als seinem Gegner. Er sah sich durch die UNO getäuscht, als während der Friedenskonferenz in Addis Abeba die Stadt Kismayu durch mit Mahdi verbündete Truppen erobert wurde, da Aidids Verbündete durch Entwaffnungsaktionen der UNO geschwächt waren. Die UNO sah dem zu, ging dann auf Konfrontationskurs und reagierte mit überzogenen und wahllosen Angriffen gegen Aidid und seine Milizen, die die UNO-Soldaten attackiert hatten. Eine große Anzahl von unbeteiligten Zivilisten fand dabei den Tod. Im Laufe der eskalierenden Konfrontation begingen UNO-Soldaten auch noch umfangreiche Menschenrechtsverletzungen. Es wurde gefoltert und getötet. Mit den Vergeltungsmaßnahmen gegen Aidid verließ die UNO die Rolle des vom Konsens der Kriegsparteien abhängigen unparteiischen Vermittlers beim Krisen- und Konfliktmanagement.

Rwanda: Mord nach Rückzug

Auch am Beispiel Rwandas läßt sich das Scheitern des UN-Einsatzes in einem innerstaatlichen Konflikt erkennen. Nach Angriffen der Rwandischen Patriotischen Front (FPR) aus Uganda entsandte Frankreich Anfang 1993 unter dem Vorwand, die etwa 400 in Rwanda lebenden Franzosen schützen zu wollen, 680 Soldaten nach Rwanda, die in der Folge beim Aufbau der rwandischen Armee behilflich waren. Nach dem im August des Jahres unterzeichneten Friedensabkommen von Arusha zwischen der FPR und der rwandischen Regierung verabschiedeten sich die französischen Truppen offiziell. Gleichzeitig wurde entsprechend der Sicherheitsrats-Resolution Nr. 872 ein Kontingent von 2.548 Soldaten (UNAMIR-I) nach Rwanda entsandt.

Die Anwesenheit französischer Truppen und später der UNAMIR-I-Mission setzte auf der rwandischen Seite militärische Ressourcen zur Aufstockung und Ausbildung der eigenen Truppen frei, die ansonsten zur Sicherung Kigalis und nicht von der FPR besetzter Landesteile hätten verwendet werden müssen. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Oktober 1990 bis zum Genozid im April 1994 erhöhte sich die reguläre Truppenzahl von 5.000 auf etwa 25.000 Mann. Die Hutu-Milizen "Interahamwe" konnten ebenfalls in diesem Zeitraum aufgebaut werden. Ihre Zahl wurde auf etwa 50.000 bis 60.000 geschätzt.

Die UNAMIR-I-Truppe wurden zwei Wochen nach dem Beginn des Genozids vom 7. April 1994 auf 270 Mann reduziert. Nun stand den Mördermilizen Tür und Tor offen. Die UNO verhielt sich durch den Rückzug ihrer Truppen während des Genozids neutral, d.h., sie griff nicht ein. Obwohl also die Resolution 872 vom 5. Oktober 1993 die rwandische Zivilbevölkerung unter UNO-Schutz stellte, signalisierte sie durch ihren Rückzug, daß sie das Gemetzel als innerstaatliche Angelegenheit betrachtete. Die UNAMIR-Truppe wurde erst nach dem Ende des Genozids im Juli 1994 wieder auf 5.442 Soldaten aufgestockt. Dieser UNAMIR-II-Einsatz diente in erster Linie zur Versorgung der Hutu-Flüchtlingslager. Vor diesem Hintergrund wurde der UNO einseitige Parteinahme zugunsten der "génocidaires" von 1994 unterstellt. Dieses Image behielt die UNO bis zu ihrem vorzeitigen Rückzug im Mai 1996.

Fremde im eigenen Land

Die Einsätze der UNO in den vergangenen Jahren zeigten, daß sie nicht in der Lage ist, ihre ethischen Grundsätze in der Praxis zu verwirklichen. Die für zwischenstaatliche Konfliktlösungen entwickelten Instrumentarien Peacekeeping, Peacemaking und Peaceenforcement stellten sich in Somalia und Rwanda als ungeeignet zur innerstaatlichen Konfliktlösung heraus. Beide Einsätze haben deutlich gemacht, daß ein militärisches Eingreifen die Gefahr birgt, daß der Konflikt eskaliert und die zur Friedenssicherung eingesetzten militärischen Kräfte zu einer Konfliktpartei mutieren. Und nicht zuletzt infolge der undurchschaubaren Politik der UNO-Mitarbeiter betrachteten sich Somalis und Rwander als Zuschauer und Fremde im eigenen Land. Sie fühlten sich in ein neues Kolonialverhältnis versetzt.

An der Somalia-Operation läßt sich zudem die starke Abhängigkeit der UNO von der Großmacht USA ablesen. Nicht nur im Sicherheitsrat spielen die USA eine das ob und wie von UNO-Einsätzen dominierende Rolle, sondern auch beim Einsatz vor Ort. In Somalia ging es den USA und dem damaligen Präsidenten Bush nicht vornehmlich um die Durchsetzung von Menschenrechten, sondern kurz vor den Wahlen u.a. um einen massenmedienwirksamen Auftritt als Weltenlenker.

Im Namen der Weltgemeinschaft durchgeführte UNO-Einsätze erscheinen vor diesem Hintergrund in doppelter Hinsicht fragwürdig: Zum einen hinsichtlich der Machtkonstellation innerhalb der UNO und zum anderen deshalb, weil sich die Einsätze vor Ort immer in einem machtpolitischen Spannungsfeld zwischen den Interessen der Konfliktparteien und den Hilfeleistungen für notleidende Menschen bewegen.

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Erschienen in Blätter des iz3w Nr. 224/1997 (Seite 31 - 32).


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